Select Page

St. Marien am Behnitz

Die kleine, fast unscheinbare Kirche im Behnitz am Rande der Altstadt ist Spandaus älteste und Berlins zweitälteste katholische Kirche aus der Zeit nach der Reformation. Der Grund für ihren Bau war einst der Krieg oder besser: dessen Vorbereitung. König Friedrich Wilhelm I. wollte nämlich belgische Facharbeiter für seine Gewehrfabriken nach Spandau holen. Anders als die Spandauer und Brandenburger waren diese jedoch katholisch und bestanden auf ein eigenes Gotteshaus vor Ort.

Heute ist St. Marien nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch ein beliebter Veranstaltungsort für Konzerte und Lesungen. Zudem lohnt ein Besuch wegen der prachtvollen Gemälde im restaurierten Innenraum. 

Eine kleine Kirche mit eindrucksvoller Geschichte

 

Kirche St. Marien am Behnitz (Foto: Ralf Salecker)

Berlins zweitälteste katholische Kirche ist heute ein beliebter Veranstaltungsort für Konzerte und Lesungen (Foto: Ralf Salecker)

Alles begann einst damit, dass der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. das brandenburgische Heer mit landeseigenen Waffen ausstatten wollte. Dazu mussten in Potsdam und Spandau Gewehrfabriken errichtet werden. Die Fabriken allein nützten allerdings nicht viel. Man benötigte auch Facharbeiter, die dort arbeiten, und die waren damals nur schwer aufzutreiben. Der Headhunter des Königs (so würde man heute sagen) fand das passende Personal schließlich in der belgischen Stadt Lüttich. Einen Haken hatte die ganze Geschichte trotzdem. Die Bewohner Lüttichs waren Katholiken, die Brandenburger und Spandauer dagegen Protestanten. Ihre Bereitschaft, in der Gewehrfabrik zu arbeiten, knüpften die Lütticher an die Forderung nach einem eigenen Gotteshaus und freier Religionsausübung. Außerdem war ihnen wichtig, Bier brauen zu dürfen. Nur die letzte Forderung wurde abgelehnt.

Erste Gotteshäuser für Katholiken nach der Reformation in Brandenburg

200 Belgier, inklusive Familie, folgten dem Ruf des Königs. 1723 entstand auf dem Gewehrplan in Haselhorst, also außerhalb der Stadtmauern Spandaus, im Süden der Zitadelle, ein einfaches Gotteshaus aus Holz, nahe am Wohnort der Facharbeiter. Dies war die erste katholische Kirche nach der Reformation 1539 in Brandenburg. Schon zwanzig Jahre später musste sie wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Der dann 1767 fertiggestellte zweite recht schlichte Holzbau wurde wohl ähnlich mangelhaft errichtet wie der erste. Reparaturen durch die zuständigen Dienstleister erfolgten erst, wenn es nicht mehr anders ging. Nicht ohne Grund beschwerte sich deswegen der Dominikanerpater Groß beim König. Er bemerkte, dass das Gebäude eher einer Wüstenei als einem Gotteshaus ähneln würde. Ein wenig hat die Bitte wohl geholfen. Nun endlich erfolgten die dringend notwendigen Reparaturen.

Aus nachvollziehbaren Gründen wollten die Gläubigen endlich eine vernünftige Kirche haben. Die Zahl der Katholiken nahm durch angeworbene Soldaten weiter zu. Da war es wohl ganz praktisch, dass die alte Kirche einer Erweiterung der Rüstungsbetriebe weichen musste. Zwei Heiligenfiguren (St. Peter und St. Paul) sind das einzige, was noch von ihr übrig geblieben ist.

Nun konnten in Preußen nicht ohne weiteres Kirchengebäude errichtet werden. Alle Kirchenneubauten dieser Zeit orientierten sich an einem klassischen Ideal antiker Kirchen. Karl Friedrich Schinkel hatte für Friedrich Wilhelm III. eine sogenannte Normalkirche entworfen. Friedrich Wilhelm IV. bevorzugte aber die Bauform einer altchristlichen Basilika, wie sich schon im Bau der Kirche in Sacrow gezeigt hat.

Die Kirche auf dem Behnitz entsteht

Als die Katholiken schließlich ihre Pläne für eine Kirche am Behnitz vorlegten, wurden diese erst einmal rundweg abgelehnt. Der Geheime Oberbaurat August Soller von der zentralen Behörde für das preußische Bauwesen, ein Schüler Schinkels, erstellte dann den Entwurf für einen Ziegelbau, der sich durch ein höheres Mittelschiff auszeichnete.

Für 3.000 Taler wurde einem Spandauer Tischlermeister der Grund und Boden am Behnitz abgekauft. 1847 erfolgte die Grundsteinlegung für die dreischiffige Basilika im Rundbogenstil. Den Kirchenbau selbst leitete der königliche Bauinspektor Julius Manger, ein Schüler Schinkels. Wahrscheinlich war er auch für die neoromantische Innenausstattung verantwortlich, die, obwohl die Gemeinde nicht über viel Geld verfügte, doch prunkvoller wirken sollte als protestantische Kirchenausstattungen. Der Innenraum ist durch Säulenreihen in drei Längsschiffe geteilt. Im November 1848 wurden die Reliquien zweier Märtyrer im Hochalter beigesetzt.

Besonders durch Zuwanderung aus den katholischen Ostprovinzen Preußens nahm die Anzahl der Katholiken in Spandau erheblich zu. Um 1900 waren es rund 9.000. Im Inneren der Kirche fanden jedoch gerade mal 750 Personen Platz. Es musste also eine neue her.

Protestantisch-preußische Schlichtheit für die Garnisonsgemeinde

Nachdem man verschiedene Nutzungskonzepte (Lagerhalle, Kino, Turnhalle) für das Kirchengebäude verworfen hatte, verkaufte man es schließlich an die Militärverwaltung. Ein praktischer Funktionstest mit 800 Soldaten bewies, dass die Kapazität des Gebäudes für die Spandauer Garnisonsgemeinde ausreichte. So diente die Kirche von 1912 bis 1921 und von 1937 bis 1945 als Garnisonskirche. Im Stile protestantisch-preußischer Schlichtheit übermalte man im Inneren alles mit brauner Farbe. Die ursprünglichen Farben der Marienkirche, bei denen Blau, Rot und Gold dominierten, passten einfach nicht ins Bild.

Ein wechselvolles Dasein der kleinen Kirche begann. 1921 wurde sie geschlossen und erst 1936 erneut geweiht. Wie so viele andere Gebäude, wurde sie im Zweiten Weltkrieg erheblich beschädigt. Erst 1952 erfolgte eine Wiederherstellung. Brachiale Renovierungsarbeiten in den 1960er Jahren, bei denen man den alten Putz vollkommen abschlug und damit die alten Wandmalereien zerstörte, sowie ein Schwelbrand 1970 ließen sie immer weiter herunterkommen.

Neuanfang als kultureller Ort in Spandau

2001 erwarb schließlich ein Ehepaar das Gebäude vom Erzbistum Berlin und ließ in den Jahren 2002 bis 2003 mit großem Aufwand, aber ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel, dessen ursprünglichen Zustand wiederherstellen. Die Außenfassade wurde gesandstrahlt, um die Verschmutzung von rund 170 Jahren zu beseitigen, fehlende und defekte Ziegelsteine wurden ersetzt und die vier kleinen Türmchen aus Sandstein wieder auf die Außenfassade gesetzt. Die beiden zugemauerten Fensteröffnungen versetzte man wieder in ihren ursprünglichen Zustand.

Der Putz und das Mauerwerk im Innenraum befanden sich in einem derart desolaten Zustand, dass nach Trockenlegung des feuchten und versalzten Mauerwerkes nur ein vollständiger Neuaufbau möglich war. So sind auch die Stuckarbeiten und Malereien eine völlige Neuschöpfung der polnischen Restauratoren. 60 Spezialisten waren ein halbes Jahr damit beschäftigt, einen überaus prachtvollen Innenraum nach historischen Grundlagen zu schaffen.

Heute finden wieder Gottesdienste in St. Marien statt. Darüber hinaus lockt die kleine Kirche am Behnitz mit zahlreichen Musikveranstaltungen und Lesungen zu moderaten Preisen. Sie hat sich zu einem wichtigen kulturellen Ort in Spandau entwickelt.

An der Nordseite der Kirche befindet sich ein Brunnen aus dem 14. Jahrhundert, der bei der Neugestaltung des Kinderspielplatzes freigelegt wurde. Archäologische Untersuchungen konnten Siedlungsspuren nachweisen, die bis in die Steinzeit zurückreichen. In der warmen Jahreszeit nutzen Familien mit Kindern den Spielplatz als willkommene Oase der Ruhe.

St. Marien am Behnitz
Behnitz 9
13597 Berlin

Öffnungszeiten:

Mo bis So, jeweils 14–17 Uhr

Entsprechende Informationen sind auf der Website der Kirche zu finden:
www.behnitz.de

Karten zu den Veranstaltungen gibt es in der Tourist-Information im Gotischen Haus (Breite Straße 32).

Haltestellen:

Altstadt Spandau (icon_u-bahn7),
U Altstadt Spandau (icon_busX33)

Anfahrt aus Berlin:

S5/ Regionalbahn bis Berlin-Spandau, von dort zu Fuß weiter (ca. 10 Minuten) oder mit der icon_u-bahn7 bis Altstadt Spandau

Vom Berliner Hauptbahnhof bis Berlin-Spandau sind es mit der S5 etwa 30 Minuten. Die Regionalzüge benötigen ca. 15–20 Minuten.

Wer sich für die Geschichte der Kirche und die aufwändige Restaurierung und Neugestaltung interessiert, dem sei folgendes umfangreich bebilderte Buch ans Herz gelegt:

Helmut Kißner, Cordia Schleglmilch (Hrsg.)
Die Kirche St. Marien am Behnitz in Spandau – Ein vergessenes Werk August Sollers
Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, 2004
332 Seiten, ISBN-10: 3894791179

Related Images:

WordPress Cookie-Hinweis von Real Cookie Banner